Lydia Maria Bader mit "Tales of the Sea" | „Wasserstücke“ von Bloch, Zhu Gongyi, Samazeuilh, Bridge, A. Rubinstein und MacDowell

Ein Wendejahr. Ein unvergessliches Jahr. Ein Jahr, welches ein ganzes Leben verändern sollte. Für Edward MacDowell (1860-1908) war es das Jahr 1874. Damals begab sich der musikalisch hochbegabte Teenager aus New-York auf seine erste Reise nach Europa. Noch bezaubernder und malerischer, als es die Beschreibungen in Büchern suggerierten, taten sich vor seinen Augen die Groß- und Kleinstädte Englands, Deutschlands und Frankreichs auf. Noch mächtiger und geheimnisvoller, als er es sich nur vorstellen konnte, wirkte der atlantische Ozean: ein wahres „Ungeheuer“ – wie ihn Carl Maria von Weber einst in seiner Oper Oberon charakterisiert hatte.

Wenig später, im April 1876, überquerte MacDowell den Atlantik erneut. Diesmal, um sich als jüngster Student am Pariser Konservatorium ausbilden zu lassen. Im Herbst 1888 kehrte er für längere Zeit in die Heimat zurück, nunmehr als frischer Absolvent (auch) des Frankfurter Konservatoriums und zudem als ein Protegé Franz Liszts. Sein letztes ‘Aufeinandertreffenʼ mit dem atlantischen ‘Ungeheuerʼ erlebte MacDowell im Jahr 1903. Da war er längst ein renommierter Pianist und Komponist, und der erste Professor für Musik an der New Yorker Columbia University. Doch immer wieder versetzte ihn der Anblick des großen Ozeans in Entzücken.

Seine Reiseeindrücke dokumentierte MacDowell auf ganz eigene Art und Weise im Klavierzyklus Sea Pieces op. 55 (1898). Dieser besteht aus acht ‘Tondichtungenʼ oder ‘Tonbildernʼ, unter denen die bzw. das längste kaum vier Druckseiten umfasst. Jedes der Stücke wurde vom Komponisten mit einem (in der Regel von ihm selbst verfassten) poetischen Leitsatz verknüpft. Mal evozieren die Sentenzen maritime Landschaften, mal handelt es sich um (fantastische) Reisebegebenheiten aus der Vergangenheit.

Dieses Lieblingswerk MacDowells, welches er bis zu seinem etwas mysteriösen Tod im Jahr 1908 selbst regelmäßig zur Aufführung brachte, ist in unserer Zeit leider kaum noch bekannt geschweige denn zu hören. Trefflich wiederentdeckt wurde es nun allerdings von Lydia Maria Bader. Auf ihrer neuen CD Tales of the Sea, die am 7. Juli beim Label Ars Produktion erschienen ist, kombiniert die deutsche Pianistin den besagten Zyklus mit anderen ‘Wasserstückenʼ von Ernest Bloch, Gustave Samazeuilh, Frank Bridge und Anton Rubinstein. Die pittoreske Ouvertüre: Small Stream des Chinesen Zhu Gongyi vervollständigt das Programm ‘maritimer Tonbilderʼ. Und es schafft zudem eine kunstvolle Verbindung zu Baders vorherigem Album Chinese Dreams.