Quatuor Hèrmes mit dem Streichquartett Nr. 1, op. 25, von Charlotte Sohy

1974 war sicherlich ein besonderes Jahr im Leben von François-Henri Labey. In eben diesem Jahr startete der frisch gebackene Absolvent der Université de Strasbourg sein erstes eigenes Forschungsprojekt. Er setzte sich zum Ziel, das Archiv seines Großvaters, des Komponisten Marcel Labey, zu systematisieren.

Praktisch vom Keller bis zum Dachboden durchkämmte der junge Musikwissenschaftler das entsprechende Gebäude (übrigens das Wohnhaus seiner Großeltern) und trug alle dort auffindbaren Notenmanuskripte sorgfältig zusammen. Dabei fiel ihm bald auf, dass die Handschriften nicht einheitlich signiert sind: neben Marcel Labey tauchten auch diverse andere Namen wie Louis Rivière, Claude Vincent und Charles bzw. Ch. Sohy auf. Davon einigermaßen verblüfft, veranlasste Labey gezielte Nachforschungen, die letztlich zu einem geradezu sensationellen Ergebnis führten. Hinter den alternativen Namen verbarg sich tatsächlich stets Marcel Labeys Gattin (und François-Henri Labeys Großmutter) Charlotte Sohy (1887-1955).

Wohlhabende Industriellentochter, Nadia Boulangers Jugendfreundin, Vincent d’Indys Studentin, glückliche Ehefrau und Mutter von nicht weniger als sechs Kindern, unglaublich produktive Urheberin von rund 40 musikalischen Werken (darunter eine Oper und eine Symphonie)… Auf den ersten Blick scheint Charlotte Sohy ein ziemlich erfülltes Leben gehabt zu haben. Doch gab es da leider ein gewisses Detail, welches alles ein Stück weit überschattete. Zu Sohys Lebzeiten herrschte nämlich immer noch die Ansicht vor, dass Komponieren eine lediglich den Männern vorbehaltene Tätigkeit sei. Für Komponistinnen war es deshalb kaum möglich, sich als solche öffentlich zu präsentieren. Allenfalls unter Verwendung männlicher oder zumindest neutraler Pseudonyme. Insofern sollte Sohys kompositorisches Wirken für ihre Zeitgenossen ein hinter den oben genannten (multiplen) Namen gut verstecktes Geheimnis bleiben.

Ein Geheimnis, das erst 1974 endlich gelüftet wurde. François-Henri Labey gewann damals schnell den Eindruck, dass die Musik seiner Großmutter von eminenter Bedeutung ist. Daher widmete er sich mit voller Kraft der Erkundung und Verbreitung von deren Ouevre. Einige der von ihm digitalisierten Manuskripte dienten bereits einer CD-Einspielung als Basis: so veröffentlichte etwa das ’Quatuor Hèrmes’ im Jahr 2022 das Dreifachalbum Charlotte Sohy, Compositrice de la Belle Époque. Am 25. Juni gibt uns das Ensemble im Rahmen des Mozartfestes Würzburg die wunderbare Gelegenheit, mit Charlotte Sohys Streichquartett Nr. 1, op. 25 ein zentrales Stück des Albums live zu erleben.

Presse

Finden Sie nachstehend projektbezogenen Informationsunterlagen, Links und ausgewählte Veröffentlichungen.