Alexander Grychtolik mit Bachs Passionsoratorium

Frage: Wie viele Passionen hat Johann Sebastian Bach geschrieben? Die Antwort darauf scheint offensichtlich zu sein: drei! Da gibt es die vollständig überlieferte Johannes- bzw. die Matthäuspassion und außerdem weiß man von einer Markus-Passion, von der lediglich das Libretto erhalten ist. Allerdings stellten der Bach-Sohn Carl Philipp Emanuel und ein Student seines Vaters, Johann Friedrich Agricola, im 1754 veröffentlichten 'Nekrolog auf Johann Sebastian Bach' die Behauptung auf, dieser habe tatsächlich „fünf Paßionen“ komponiert!

Was mag sich also hinter den dort suggerierten zwei weiteren Passionen verbergen? Vor wenigen Jahren begab sich der in Weimar wirkende Cembalist, Dirigent und promovierte Musikwissenschaftler Alexander Grychtolik auf die Spurensuche nach diesen rätselhaften Werken und kann nun das zu erwartende Ergebnis seiner Recherche präsentieren. Dabei handelt es sich um eine (Welterst-)Einspielung des Passionsoratoriums BWV1 Anh. 169 (BWV3 p. 718).

Als Ausgangspunkt diente Grychtolik ein Libretto zu einem Passionsoratorium, das Bachs langjähriger Librettist, Christian Friedrich Henrici (genannt Picaneder), 1725 in Leipzig zur Veröffentlichung brachte. Im Zuge umfangreicher Forschungsarbeiten gelangte er zunächst zu der Einschätzung, dass dieser frei gedichtete Text auf Bachs persönlichen Auftrag hin entstanden sein musste. Danach identifizierte er Textstellen, die Picaneder später in der Matthäus-Passion weiterentwickelt hatte, und übernahm (mit notwendigen Anpassungen) Bachs Originalvertonungen dieser Stellen. Zur Vervollständigung entlieh er nach detaillierter Untersuchung für geeignet befundene Ausschnitte aus anderen Bach-Werken. Alle Rezitative, die Arien miteinander verbinden sollen, komponierte er in Anlehnung an Bachs Rezitativtechnik neu.

Grychtoliks eigener Charakterisierung zufolge, ist seine Arbeit als künstlerische Forschung bzw. als angewandte Musikwissenschaft zu verstehen. Demgemäß ist die Rekonstruktion des Passionsoratoriums von Bach als eine Art fortlaufendes Experiment zu verstehen. Die Frage, ob es gelungen ist, muss also im Grunde offen bleiben. Gleichwohl hat jetzt jeder die Möglichkeit, sie (zumindest) für sich selbst zu beantworten. Denn die Aufnahme, die Alexander Grychtolik im Sommer 2023 mit dem Orchester & Chor Il Gardelino gemacht hat, ist am 8. März auf dem Label Passacaille erschienen.  


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